Wie der Wein zu Wasser wurde. Eine Geschichte

Wein zu Wasser

Vom Wein, der zu Wasser wurde  … 

Einmal beschlossen die Bauern, dass ein jeder für ein großes Fest eine Flasche Wein mitzubringen hatte. Der Wein dieser Flaschen sollte dann in ein großes Fass als Zeichen der Gemeinsamkeit geschüttet werden. So geschah es dann auch. Wie in einer feierlichen Prozession zogen die Festgäste vorüber und leerten ihre Flaschen in das große Fass. Als nun alle mitgebrachten Flaschen zusammengegossen waren, wurde ausgeschenkt. Dann erhob man sich von den Plätzen und prostete sich feierlich zu.

Doch als die Bauern den ersten Schluck getrunken hatten, blickten sie sich alle mit einem verdutzen Blick an und schauten schließlich beschämt zur Erde. Das vermeintliche Weingemisch, zu dem jeder seinen Anteil beigetragen hatte, war nichts anderes, als pures Wasser.

(Nach einer Lehrgeschichte, bearbeitet von Karlheinz Schudt)

… und vom sauren Bier, das sich in einen köstlichen Wein verwandelte!

Kennen Sie das Märchen von der Goldenen Gans aus der Sammlung der Brüder Grimm? Nein, dann klicken Sie >>> HIER <<<! Es hat zwar nicht unbedingt eine direkte Verwandtschaft mit der obigen Lehrgeschichte, aber es kommt ein Motiv darin vor, das schön veranschaulicht, was es heißt, mit vollem Herzen zu geben, anstatt aus Gier, Geiz und Angst vor Mangel zu nehmen.

Drei Brüder ziehen unabhängig voneinander in den Wald, um Holz zu holen. Jeder der beiden Älteren erhält von der Mutter einen feinen Eierkuchen und eine Flasche guten Wein als Wegzehrung mit. Da sie aber nicht bereit sind, unterwegs ihren Proviant mit einem alten Männchen zu teilen, erhalten sie am Ende ihren verdienten Lohn. Jeder muss verletzt, angeschlagen und unverrichteter Dinge wieder nach Hause zurück kehren.

Der Jüngste aber, den alle den Dummling nannten, erhält von der Mutter einen Aschekuchen und eine Flasche saures Bier als Wegzehrung mit und muss schon einiges tun, damit der Vater ihn überhaupt in den Wald ziehen lässt. Er jedoch zeigt unterwegs bedingungsloses Mitgefühl und ist gerne bereit, mit dem Männchen seine karge und nicht gerade appetitliche Wegzehrung zu teilen. Wie er aber den Aschekuchen aus seiner Tasche zieht, so ist’s plötzlich ein feiner Eierkuchen und das saure Bier ein köstlicher Wein. Und schließlich erhält er sogar noch als Belohnung vom alten Männchen den Hinweis, wie er sein Glück finden kann.

Nun sollte man allerdings nicht glauben, dass dieses „Belohnungs-Prinzip“ von Geben und Nehmen berechnend funktioniert. Die „Schöpfung“ ist weise genug, um diejenigen zu durchschauen, die derartiges mit Kalkül betreiben wollen. Wer also mit offenen Augen, mitfühlend und voller Vertrauen in die Welt zieht, dem wird es wohl wie dem Dummling ergehen, der am Ende sogar König wird.

Hätten die Bauern in der obigen Lehrgeschichte nur ein wenig von dieser Herzens-Qualität des Dummlings gehabt, sie hätten alle gewiss kein Wasser heimlich  ins Fass geschüttet, sondern den besten Wein erschaffen, den keiner der Anwesenden sich jemals zu erträumen wagte.

© Karlheinz Schudt
Märchenerzähler, Autor, Seminarleiter

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