Der Schicksalsbaum

Der Schicksalsbaum

Am Rande eines kleinen Dorfes stand ein uralter, wunderschöner Baum, der schon viel im Leben gesehen hatte und den alle den Schicksalsbaum nannten. Nun waren aber die Menschen in diesem Dorf unzufrieden mit ihrem Schicksal und meinten, dass alle anderen es besser hätten, als sie selbst. Von Tag zu Tag stritten sie sich immer heftiger, denn keiner gönnte dem anderen sein vermeintliches Glück.

Eines Tages entschied der Dorfälteste, dass alle Bewohner ihre Ängste und Probleme in ein Päckchen wickeln und gut verschnürt an diesen Baum hängen sollten. Am Morgen des darauf folgenden Tages sollten sie sich wieder ein anderes Päckchen von diesem Baum mit nach Hause nehmen.

Dieser Vorschlag gefiel allen überaus gut und so taten sie es auch. Überglücklich feierten sie die ganze Nacht, glaubten sie doch, auf diese Weise ihr Unglück und schlechtes Schicksal überwinden zu können. Am anderen Morgen, wenngleich noch etwas benommen von dem ausgelassenen Feiern, strömten sie wieder zu jenem Baum, um das Schicksal eines anderen abzuholen, das doch weitaus besser und erträglicher sein müsse, als das eigene.

Wie sie nun ihr neues Päckchen öffneten, erschraken sie und waren zutiefst bestürzt. Das Schicksal der anderen schien ihnen noch viel schlimmer, als das eigene zu sein. Beschämt liefen alle zu dem Schicksalsbaum zurück, hängten das fremde Päckchen wieder in die Äste und suchten ihr eigenes.

Das kam ihnen nun mit allen Sorgen und Nöten viel erträglicher vor, als einstmals gedacht. Insgeheim dankten sie der weisen Schöpfung für ihr eigenes Schicksal, gingen demütig aber zufrieden nach Hause und nahmen sich vor, von nun an sich mit niemand anderem mehr zu vergleichen.

Der Schicksalsbaum aber rauschte leise im Sonnenlicht und es schien, als ob er sanft lächelte.

Nach einem indischen Motiv, neu geschrieben von Karlheinz Schudt.

Keine Frage des „Bauchgefühls“, sondern des Herzens!

Eine alte Indianerweisheit besagt sinngemäß, wie wichtig es ist, eine längere Zeit in den Schuhen eines anderen zu gehen, um ihn besser kennen und verstehen zu lernen. Wie schnell steckt man die Mitmenschen in eine „Schublade“, weil man sie nur mit den äußeren Augen sieht oder von jemandem gehört hat, der wiederum von jemand anderem gehört hat, was diese(r) oder jene(r) für ein „schlimmer“ Mensch sei. Viel zu oft verlassen wir uns auf das so gepriesene „Bauchgefühl“, das allerdings hauptsächlich von Sympathie und Antipathie bestimmt wird oder von dem, was andere uns „eingeflüstert“ haben.

Das wiederum ist trügerisch und begünstigt das einseitige Werten und Bewerten ungemein. Schließlich kennt fast jede(r) im Leben die Situation, dass ein vormals sympathischer Mensch nach einiger Zeit ganz andere, „dunkle“ Seiten von sich zeigt und ein einstmals unsympathischer großartige Qualitäten und Fähigkeiten. Es ist also weniger eine Frage des Bauchgefühls, sondern vielmehr eine des Herzens. Denn nur dort – also mit den inneren Augen – kann das Wesentliche entdeckt und erlebt werden.

Das eigene Schicksal betrachten

So verhält es sich vermutlich auch mit unserem Schicksal. Dieses Geheimnis offenbart sich wohl nur in der Stille, ohne viel Wichtigtuerei und großes Geschrei. Wenn wir unser Schicksal (oder unser Leben) in Milde und Güte betrachten, ohne es zu werten oder mit anderen vergleichen, spricht es in kürzester Zeit ganz von alleine zu uns. Selbstverständlich sollten wir offen für diese Art der Betrachtung  sein und sowohl die Sympathie und Antipathie als auch unsere Meinung über etwas wenigstens für den Moment der stillen Betrachtung einfach weiterziehen lassen.

Es klingt zwar etwas ungewöhnlich, aber wenn wir bereit sind über das, was wir dabei an Bildern, Stimmungen, etc. wahrnehmen, uns kein Urteil bilden, sie nicht ablehnen oder gar verdrängen, dann können sie wahrhaftig zu uns sprechen. Es ist im Grunde ganz einfach und natürlich und verlangt keinerlei Mühe. Das Geheimnis des eigenen Schicksals offenbart sich so immer mehr und zur rechten Zeit ganz von alleine, zuweilen auch völlig überraschend. Und wer weiß, womöglich bekommt unser Leben dadurch noch viel mehr Tiefe und Erfüllung.

© 2019 Karlheinz Schudt
Märchenerzähler, Autor, Seminarleiter

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